Mein Leben begann unerwarteter Weise zu zweit, an einem heißen Samstagmorgen im Juni. Da das Schicksal bestimmt hatte, dass ich noch zu Zeiten geboren werden sollte, bevor Eltern mittels Ultraschall die Entwicklung der Frucht ihrer Liebe im Mutterleib minutiös verfolgen konnten, gingen meine Erzeuger bis zuletzt davon aus, dass sie nur mit einem Sprössling gesegnet werden würden. Zwar hatte meine Mutter während der Schwangerschaft den Verdacht, dass ihr Kind gewisse körperliche Abnormitäten aufweisen könnte. Doch ihr Glaube an die Erfahrung und den Sachverstand ihres Arztes, der ihr felsenfest versicherte, dass es sich bei der vermeintlichen Missgeburt nur um ein Kind – und zwar ein gesundes - handelte, siegte schließlich über ihre Skepsis.
Selbst die Hebamme, die sie am Tag ihrer Niederkunft in der Bochumer Frauenklinik mit den Worten „Hömma Schätzken, da bringse uns abba zwei, woll“ in Empfang nahm, konnte ihre Loyalität zum Gott in Weiß nicht mehr erschüttern. Die Hebamme sollte jedoch recht behalten. Und so erblickte ich mit rekordverdächtigen zwei Minuten Vorsprung vor meinem Bruder Jörg am 4. Juni 1966 um 8.24 Uhr das Licht der Welt.
Das Weitere ist schnell erzählt. Nach 18 Jahren im Schoß der Familie hielt ich die Zeit für gekommen, das heimische Nest zwischen Zechen und Halden zu verlassen und meinen eigenen Weg zu gehen. Da ich als durchschnittlich intelligenter Mensch nur mit einem durchschnittlichen Abitur gesegnet war, ließ ich meine hochfliegenden Pläne, eines Tages als Ärztin gesetzlich legitimierte Körperverletzungen an unschuldigen Menschen zu begehen, nach reiflicher Überlegung sausen, um mich dem Studium der Publizistik, Romanistik und Politikwissenschaften in Münster/Westfalen zu widmen.